Grand Hotel
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Die Schultern steif, das Becken schmerzt, der Kopf ein zwitschernd Schwalbennest. Bruno schleicht durch die Schliemannstraße, die Sonnenbrille auf dem Schädel. Alles viel zu hell, all zu grell, nicht seine Zeit. Was die Leute so an der Sonne finden! Er will nur nach Hause. Souterrain, Hinterhof, Dunkelheit, Bier, Schlaf.
Und dann: Stau! Der Gehsteig zugeparkt mit 16 Kinderwagen und diesen komischen Fahrrädern, die vorn so ein Gehäuse haben, in dem Laura und Philipp-Torben sich gegenseitig das Holzspielzeug um die Ohren pfeffern können.
Hier war doch… verdammt! Bruno reibt sich die Augenbrauen, pocht mit den zitternden Fäusten gegen seine Schläfen, er nimmt sogar die Brille ab: Wo ist es hin? Wieviele Nächte war er hier bauchgelandet und abgestürzt, hackevoll mit Flaschenbier, im Clinch mit den falschen Frauen, verschwiemelt und fröhlich seinen Trotz herauslallend?
Verflucht, wo ist der Kinky Room, all der dunkle Plüsch, das grobe Metall, die hoffenden Buben und die erfahren grinsenden Damen, die verwelkten Lederuschis und die traumlosen Tresenschlampen? Wo der Gestank von zehntausend vertanen Nächten?
Das Grand Hotel? Sein Wohnzimmer! Nicht mehr da.
Stattdessen: Schmiegige Polster, zierliche Tischlein. Und alles rosa und hellblau und zartgrün und cremegelb und hell und licht und schnörkelig und tuffig und pastellig. Als hätte die Deko-Redakteurin der Brigitte hier einen Anfall gehabt. Latte Macchiato aus Bio-Kaffee, mundgeblasener Apfelsaft, selbstgemachte Törtchen, Stück drei-achtzig – zur Straße eine Theke mit 28 Sorten Rohmilch-Eis.
Und: Kinder. Viele Kinder. Laute, tobende Gören. Greinende Bälger. Egozentrische, grausame Monster. Bruno ist keiner, dem beim Anblick eines Säuglings spontan die Milch einschießt.
Wo früher die Separees waren, schreien jetzt antiautoritäre Rotzbälger des neuen Bildungsbürgertums im quietschbunten Bällebad; die säuerlich riechende Kinky Box ein Wickelraum, nach Babypups müffelnd.
Und das Publikum: Statt Bare Backern und Latexludern Vollwertmütter im zwölften Semester, ihre Säuglinge stillend, dabei darüber lamentierend, das Sex nach so einer Geburt ja nun wirklich überbewertet wird und sie verstehen den Börge überhaupt nicht mehr – der kommt auch immer später aus der Kanzlei nach Hause…
Bruno japst. Kaum zwei Wochen in Beugehaft und schon wieder ein Stück Village kaputt. Hin.
Sie sprechen laut und überdeutlich und wedeln genervt den Rauch von Brunos Zigarette, der sich vor ihren spitzen Akademikernäschen kräuselt.
Er steht in der offenen Tür, es ist warm. Und er denkt: „Das ist mein Laden!“, wirft seine Jacke ab und läßt sich rückwärts ins Bällebad plumpsen.
Kinder schreien, Mütter kreischen. Zwei Furien federn hoch, mächtige Hintern, schwingende Milchbrüste – zerren an seinen Armen – Aua, die renkt mir ja die Schulter aus! – ein blonder Engel von höchstens fünf Jahren knallt ihm immer wieder eine gelbe Schippe auf Stirn und Nase und die kleine Laura läßt sich mit ihren kindlichen dreißig Kilo voll in seinen Schritt fallen.
Das Startsignal für die andern. Penner verkloppen! Mami macht’s ja vor, also darf ich’s auch!
Bruno spürt etwas Warmes seine Stirn herunterlaufen, es schmeckt nach Eisen. Sein Blick verschwimmt, im Hintergrund sieht er undeutlich ein Wesen im Lagen-Look, das in ein Handy greint. Er grapscht nach seinem Sechserpack, das in dem Bad untergehen will und wehrt mit der anderen Hand den kleinen Lukas ab, der beharrlich nach seinem Ohr schnappt.
Berlin ein Sündenpfuhl? Jetzt weiß Bruno, was damit gemeint ist.
Plötzlich werden die Kinder weggekreischt, endlich ist Ruhe. Dann läßt ihn der Brand in den Augen fast den Veit tanzen.
Pfefferspray!
Es reicht; Bruno kommt auf die Beine, rudernd, schwankend. Blind bahnt er sich seinen Weg dahin, wo er den Ausgang vermutet. Kleine Fäuste knuffen ihn, spitze Schuhe treten ihn, manikürte Nägel greifen in sein Haar, reißen ihm die Kopfhaut blutig. Er strampelt sich frei, rennt los, stolpert, stößt sich sein Knie, knackst sich eine Rippe – verdammte Kinderwagen!
Er wird panisch im Hinfallen, hört die Sirenen, sie kommen näher – Hierher!
Und er ist glücklich, als er spürt, wie ein kundiger Beamter seine Arme nach hinten zerrt und ihn in die Wanne schubst.
Die Schultern steif, das Becken schmerzt, der Kopf ein zwitschernd Schwalbennest.
Das Rauchverbot zeigt seine ersten verheerenden Auswirkungen.
Ein Jammer.
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